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Vor knapp einem Jahr habe ich mich als polyamor empfindendes Wesen geoutet. Seither habe ich mich noch mehr mit dem Thema beschäftigt und auch viele Menschen kennen gelernt, denen es ebenfalls so geht.
Dabei ist mir erst bewusst geworden, wie viele Arten dieses Empfindungsstils es gibt. Ich habe einige kennengelernt, die 3 oder 4 Partner hatten. Oder noch mehr. Oder z. B. neben dem Empfinden auch noch polygam leben. Ich bin echt beeindruck, wie weit das Ganze reicht. Auch wenn das meiste nicht meinem Geschmack entspricht, haben all diese Menschen meinen tiefsten Respekt, das zu managen und vor allem, dazu zu stehen. Ihr seid toll.
Allerdings sind für mich selbst dabei sehr viele Fragen entstanden, die ich heute einmal aufgreifen möchte. Besonders für Partner solcher Menschen wie mir. Mein Zino zum Beispiel.
1. Wie offen kann ich sein?
Nach über einem Jahr ist es nun wieder passiert. Ich habe mich sozusagen … verliebt. Und nicht gerade ohne. Und ich möchte an dieser Stelle betonen (!), dass ich meinen Zino über alles liebe. Und ich weiß, dass dieser Blog nicht der richtige Weg ist, um das mitzuteilen. Aber … naja. Mein Kopf erspinnt sich Szenarien, wo ich sicher weiß, dass sie nicht so eintreten würden.
Mein Mann ist glücklich, wenn ich es bin. Und was meine eigentliche Beziehung angeht, bin ich es auch. Ich finde immer noch, dass wir das perfekte Paar sind. Aber momentan, und das wird er sicher gemerkt haben in den letzten Tagen, bin ich selbst etwas unglücklich.
Mal abgesehen davon, dass weihnachten für mich eh eine eher … traurigere Zeit ist, bin ich sehr in meinem Kopf versunken. »Was wäre wenn«… ihr kennt das sicher. Ich habe halt angst, dass, wenn ich es meinem Mann sage, er enttäuscht ist, dass mein Blutzirkulationsorgan wieder ein Wesen gefunden hat, welches es einen Platz geben möchte.
Ich liebe meinen Zino über alle maßen. Aber … das Blutzirkulationsorgan will mal wieder mehr. Auch wenn es sich in meinem Hirn falsch anfühlt. Sorry, Mann.
2. Wie viel Freiraum kann ich beanspruchen?
Eine sehr wichtige Frage, die sich bei uns zwar noch nicht gestellt hat, aber sich irgendwann in unserem Leben stellen wird. Die meisten Menschen, die ich kennengelernt habe, reisen zu ihren Partnern. Immer wieder. Gut aufgrund von Corona aktuell nicht, aber allgemein schon.
Ich habe das letztes Jahr auch gemacht und es war teuer, da wir eine Ferienwohnung dafür gemietet haben (Danke nochmal an euch beiden für euren Support was das angeht. Das werde ich niemals vergessen).
Darf man, natürlich wenn der Partner es erlaubt, den Partner zu sich nachhause einladen und den anderen darum Bitten, ihnen etwas Zeit zu einzuräumen? Z. B. Wenn es halt anders nicht möglich ist?
Klar. Zino hat bei mir immer Vorrang. Komme, was wolle. Aber meistens kennt er die Menschen, in denen ich mich verliebe, weil diese »Gefühle« immer im gemeinsamen Dunstkreis entstehen.
Aber habe ich das Recht dazu, zu sagen, dass ich gerne mit dem zweiten Partner allein sein möchte? Wenn man sich z. B. nur einmal im Monat sehen kann, stelle ich mir den Wunsch enorm vor. Aber auch, dass sich mein Hauptpartner sehr gekränkt fühlen könnte.
Diese frage, finde ich, ist echt schwer zu beantworten. Gerade für jemanden wie mich, der (leider) bisher nur begrenzt Erfahrungen machen durfte. Aber auch schwierig ist, jedes Mal ein Hotel oder eine Ferienwohnung zu bezahlen.
3. Sollte ich (zu viel) Rücksicht nehmen?
Gerade vor einem Jahr, war diese Frage für mich elementar. Ich habe meinem Mann unzählige Male gesagt, dass er das wichtigste für mich ist. Und er hat immer beteuert, dass er es weiß. Und dennoch.
Ich erzähle ihm meine Gefühle dahingehend nicht sofort. Im Gegenteil. Ich fresse es erstmal einige Wochen hinein und vielleicht, auch nur vielleicht, wenn ich die richtigen Worte gefunden habe, was diesmal nicht der Fall ist, sage ich es ihm direkt.
Ich habe ihm vom letzten Jahr auch nur das erzählt, was meines Erachtens relevant war. Aus Rücksicht habe ich nichts großes Intimes erzählt. Geschweige denn gemacht, was ich alles machen wollte. Aus Rücksicht auf dem Menschen, der mir am allermeisten bedeutet, schränke ich mich und mein Tun selbst ein.
Ich hatte dieses Jahr ein oder zwei Anflüge von »Näherkommen«. Diese hab ich im Keim erstickt. Ich hab einfach keinen Kontakt mehr zu diesen Menschen gesucht und ihm, aus Rücksicht, nichts erzählt. Dieses Mal ist dies aber nicht möglich. Aus Gründen.
Dabei würde ich gerne alles erzählen was ich z.B. toll fand bei einem Treffen. Oder einer Unterhaltung. Doch auch hier nehme ich Rücksicht auf ihn. Weil ich gerade ihn nicht unnötig verletzen, oder ihm das Gefühl geben möchte, dass er mir nicht genug sei bzw. dass das was er tut nicht reichen würde. Denn das tut es. Mein Mann ist das wichtigste, was ich habe.
Ich muss mir selber bewusst werden, dass mein Mann hinter mir steht, glaube ich. Und vielleicht brauche ich von ihm noch einen kleinen Arschtritt, damit ich das endlich verinnerliche.
Ich liebe dich, Zino.
Mein Abschluss
Ich denke, ich habe alles gesagt, was ich an dieser Stelle sagen wollte. Ich werde nicht sagen, um wen es geht. Das wäre nicht fair. Zumal nicht mal ansatzweise absehbar ist, ob sich daraus irgendetwas entwickeln kann. Da gibt es viele Hürden zu bedenken.
Aber ja. Ich hab diesen Menschen mehr als gern. Ich vermisse es, wenn wir einen Tag lang nicht schreiben. Oder mir geht es schlecht, wenn es ihm schlecht geht. Und egal ob und was daraus wird: Ich werde für ihn da sein. So wie ich für alle da bin, an denen mir etwas liegt. Und »mehr als gern« ist noch ein wenig untertrieben.
Habt eine schöne Zeit und wir lesen uns zu meinem Jahresabschlussblog wieder.
Euer Gerry
4 Kommentare zu „Polyamorie die Dritte: Wichtige Fragen“
Wie sagte ein weiser Mann einst?
“Liebe ist wandelbar. Und …. kompliziert.”
Auch in meinem Leben gibt es ein paar Menschen, die ich liebe, so selten das auch sein mag. Nicht nur Familie und Freunde. Es gibt da sogar noch Personen, bei denen ich sagen würde, dass ich genauso empfinde, wie das anfangs noch bei meinem mittlerweile Ex-Freund der Fall war. Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass ich mit keinem der betreffenden eine Beziehung führen will. Mindestens einer weiß das auch bereits. dogger4Sip
Insofern kann ich das Ganze aber schon ein wenig nachempfinden. Aber es muss ja nicht jeder immer gleich so schwarz sehen wie ich. Dir (und deinem Mann) wünsche ich bei all deinen Herzensangelegenheiten aber nur das Beste wie du weißt. dogger4Hug
Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, und auch nicht in Zinos. Meinen vollsten Respekt dafür das ihr das so gut geregelt bekommt :)
Vielen Dank lieber Haku. Mir hilft es, über sowas zu schreiben und meinem Mann hilft dies widerrum, mich besser zu verstehen. Und auch diesmal hat es uns beiden geholfen. Dem einen mehr, dem Anderen weniger.
Danke dafür, Haku. :3 (Poyo!)
Die Anfangszeit, als mein Mann mir das erste Mal offenbarte, dass er poly ist und für jemand anderen ähnliche Gefühle hegt, wie für mich, war das schon eine völlig neue und recht befremdliche Situation.
In unserer Gesellschaft hat sich dieses Bild einer Beziehung mit (only) zwei Menschen so hart manifestiert, dass es anfangs schwierig war mich vor allem unvoreingenommen mit den Begriffen Liebe und Eifersucht auseinanderzusetzen.
Im Laufe der Zeit lernt man aber damit umzugehen und man lernt mit sich selbst und seinen Ängsten besser zurechtzukommen.
Man muss eben bereit sein sich selbst damit zu konfrontieren und auseinanderzusetzen. Was genau ist Eifersucht? Das Gefühl nicht gut genug zu sein? Verlustangst? Neid, dass der andere evtl. mehr Zuwendung oder körperliche Nähe bekommen könnte oder allgemein bevorzugt wird?
In der Anfangszeit gehen einem viele Fragen und Befürchtungen durch den Kopf. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo ich gemerkt habe, dass für all diese Fragen eine Gewissheit immer greifbar ist – der ehrliche und offene Umgang mit dem, was einen beschäftigt. Meinen Erfahrungen nach basiert jede glückliche Beziehung auf Ehrlichkeit und Offenheit. Wenn ich mich mit meinem Partner zu egal was offen und ehrlich austauschen kann, ohne dass einer von beiden dadurch in einem anderen Licht dasteht, dann schafft das auf Dauer Vertrauen.
Das Vertrauen, dass sich der Partner nicht verstellt, nichts verheimlicht oder lügt.
Ich habe zu meinem Mann mittlerweile ein so tiefes Grundvertrauen aufgebaut, dass ich mich immer darauf verlassen kann, dass er zu mir kommt, wenn ihn irgendwas beschäftigt. Früher oder später und vllt. bin ich nicht der Erste, mit dem er redet. Ich kann mich aber immer darauf verlassen, dass er mich mit einbezieht und wir uns offen austauschen können. Selbst dann, wenn es mich direkt betrifft.
Wie er selbst schon schreibt, sind es meist auch Personen aus unserem Dunstkreis. Bedeutet im Umkehrschluss: Ich kenne denjenigen schon und bisher mag und schätze ich jeden aus unserem Dunstkreis. Mich kann also nichts Unbekanntes überraschen. ^^
Mir ist in erster Linie wichtig, dass wir beide mit dem glücklich sind, was wir aneinander haben. Ich für meine Person habe alles an ihm, was ich brauche. Einen Partner, einen besten Freund, einen Ratgeber und Zuhörer – einfach jemanden, der immer für mich da ist und sich um mich sorgt.
Warum genau sollte ich also verlangen können, dass andere nicht dasselbe in ihm sehen dürfen? ;-)